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  • AutorenbildDiana Miranda

Day 22 - In den Fängen des Systems

Es ist Januar 2020. Wir befinden uns noch in der Vorcoronialen Zeit. Wobei diese Geschichte sich bestimmt auch auf das postcoroniale Zeitalter übertragen lässt. Sofern sich am System nichts ändert. We will see.


Da sitzte ich also in meiner Zelle. Es ist ein ganz gewöhnlicher Montagmorgen, 7:13 Uhr. Der Raum ist bereits so vollbesetzt, wie Zugabteile zur Rush-Hour. Nicht etwa weil alle an seniler Bettflucht leiden, nein. Auch nicht wegen dem frühen Vogel, der den Wurm oder - kulinarisch neutral - Salat fängt. (Exkurs: Meine Mitinsassen sind jung(-geblieben) und ernähren sich zum Teil vegan). Sondern weil die Verlockung am Abend egoistisch gross ist, etwas für die Work-Life-Balance zu tun. Und 8 Stunden 24 gehen halt nur bis 16:00 Uhr. Wer also zuerst kommt, der mahlt zuerst - vor dem routinemässigen Hofgang in der Regel auch die Bohnen für die illegale Koffeinspritze.


Montage sind schwierig. Pünktlich zum Wochenbeginn würde ich mir (so wie jetzt zu Corona-Zeiten) wünschen, in Isolationshaft zu sitzen. Als Teilzeit-Knacki mit Freigang möchte ich mir meine Freiheiten aber nicht verbauen. Mit stoischer Ruhe ertrage ich deswegen sowohl Himmelskomiker* als auch Hobby-Dachdecker*. Und im Rauschzustand einer schlaflosen Nacht, freue ich mich an solchen Tagen besonders über die mir gesetzlich zustehenden, täglichen Frischluftzufuhr. Selbst wenn sich die anderen Knackis wegen mir gelegentlich den Arsch abfrieren.


Nach dem Treffen (auch Sitzung genannt) mit dem Drogisten* und der Läuferin* im schlecht durchlüfteten Besuchsraum, in denen mir gegenüber klare Ansagen gemacht werden, fühle ich mich reif für das psychische Auswuchten*. Für den heilsamen Stressabbau stelle ich beim Wärter deswegen einen Antrag darauf, den langen Schuh zu machen*. Der wird mir jedoch verwährt. Weil ich aber - wie erwartet - während der Besuchszeit die nötige, sachliche und professionelle Contenance bewahrt und meine Arbeit minuziös und zu voller Zufriedenheit erledigt habe, darf ich heute pünktlich um 16:00 Uhr den Vollzug via Gefangenentransport (ÖV) verlassen und die Muckibude zum Auspowern besuchen. Das durch schlechtes Kantinenfrass angesammelte und wenig Bewegung verursachte Körperfett, bedankt sich herzlich. Und die mit ihm verbündeten Muskeln rächen sich für die schlechte Führung mit einem deftigen Muskelkater. Jedes Mal.


Im Vollzug hat die Reinigung nicht oberste Priorität. Deswegen nutze ich die Mittags-Freizeit oft, um mit Spezialputztüchern bewaffnet, Essensreste von meinen verfressenen Lebensabschnittsbegleitern zu beseitigen, während sie sich im Pfeilweitwurf üben und dabei Laute von sich geben, wie Tiere beim Balzverhalten. Trotz Aufschluss - also die Zeit, in der die Zelle geöffnet ist - sitzen alle drin. Vielleicht weil sie einander mögen, vielleicht aber weil sie - wie ich - misanthropisch veranlagt sind oder weil sie die Geborgenheit des Systems der unbekannten Freiheit vorziehen.


Ihr fragt euch, warum ich sitze? In meinen Adern fliesst kein blaues Blut. Nein. Und von Beruf bin ich auch nicht Tochter. Ich sitze, weil ich meinen Lebensunterhalt finanzieren muss. Und sowohl Mitgefangene als auch Gefängniswärter, alle sitzen wir im selben Boot.


Was ich verbrochen habe? Nichts. Ich bin unschuldig. Nach dem Studium wurde ich aber von meinen Eltern zur finanziellen Unabhängigkeit verurteilt. So wie sie damals, von ihren Eltern. Und ihre Eltern von deren Eltern. Über Generationen hinweg, dasselbe scheiss Spiel. Im selben System.


Wie viel Knastzeit ich noch absitzen muss? Das lässt sich nicht einfach beantworten. Stand heute habe ich noch fast 26 Jahre vor mir. Aber diese 26 Jahre reichen vielleicht, um daraus lebenslänglich zu machen. Das hängt von vielen Faktoren ab. Einer davon könnte sein, wie viele AHV-Empfänger am Ende von Corona noch übrig bleiben, die wir jetzt finanzieren. Ein anderer, wie viele Kinder während dieser Krise entstehen, die dann meinen letzten Lebensabschnitt bezahlen. Ich mache mich derweil auf alles gefasst.


Wir Menschen haben dieses Leben selbst gewählt. Es ist aber oft nicht selbstbestimmt. Wir sind Schmiede unseres eigenen Schicksals. Das Eisen ist aber oft nur geborgt. Wir können also nicht so einfach aus den Fängen dieser Spirale flüchten, können zwar das Hamsterrad verlassen, sind aber trotzdem umgeben vom Käfig dieses Gesellschafts- und Wirtschaftsystems.


Ich werde im Gefängnis nicht wider Willen festgehalten. Nein.

Ich mache das freiwillig. So freiwillig, wie man muss. So freiwillig, wie man kann.

Ich war jung und brauchte das Geld. Das Geld zum überleben.


Obwohl ich jetzt seit bald 3 Wochen in meiner Isolationshaft sitze und auf hartem Entzug bin, wünsche ich mir meine Mitinsassen sehnlichst zurück. Damit wir wieder die vertraute Arabica-Dosis zusammen konsumieren und uns über lustige Dinge unterhalten können. So wie Junkies, die ihren täglichen Rausch brauchen. Ja, auch ich bin nur ein Gewohnheitstier. Und Corona zeigt mir täglich, wie sehr ich mich nach dem gewohnten System sehne.


Bliibet gsund und bis glii

Diana



* Der Text ist vollgespickt mit Fachausdrücken aus dem Gefängnisalltag. Wenn ihr das eine oder andere nicht intuitiv begriffen habt, dann schaut doch kurz ins virtuelle Knast-Wörterbuch.

 

Wolfsbarsch mit buntem Ratatouille

für 2 Personen


500 g Wolfsbarsch (Filet mit Haut)

1 Süsskartoffel

1 rote Peperoni

1 Zucchetti

1 EL Café de Paris

Salz

Rosmarin

Öl

Spargel (optional)


Gemüse waschen und (wenn nötig) schälen. Alles klein Würfeln. Danach mit 2 EL Olivenöl in einer Pfanne anbraten, Rosmarin dazugeben und zugedeckt bei kleiner Hitze ca 15 Minuten garen.

In der Zwischenzeit den Wolfsbarsch waschen und mit einem Küchenpapier trocknen. Salzen. Sobald das Gemüse fast gar ist, den Fisch in einer separaten Bratpfanne mit etwas Öl von beiden Seiten 1 Minute anbraten. Das Öl sollte nicht zu heiss sein. Danach den Café de Paris beigeben und den Fisch nochmal wenden. Alles auf einem Teller anrichten. Voilà!






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